Jedes Schiff ist wie ein eigenes Gehaltsmodell: alle sind anders (Foto: B. Redmann) |
Wenn ich in meiner Wirtschaftsethikvorlesung die Frage an meine Studierenden richte, ob sie sich gerecht bezahlt fühlen, dann ergibt sich daraus immer eine rege Diskussion. Die Frage stelle ich besonders gerne in den langen Samstagsvorlesungen – denn sie garantiert mir Lebendigkeit und ein sofortiges „mitmachen“. Egal ob es sich um Studierende handelt, die müde von der Woche (oder vom Ausgehen) sind oder ob es eher stille Vertreter sind: beim Thema faires Gehalt diskutiert jeder mit. Das gleiche funktioniert übrigens auch auf Feiern, falls hier einmal der Gesprächsstoff ausgeht oder ein Austausch gar nicht erst so richtig in Gang kommt: Geld geht uns alle an.
Inhalt:
#Geld bewegt uns alle
#Fair ist immer eine Frage der Perspektive
#Ethisch fair
#FairPay ist individuell
#NewWork fordert #NewPay
#FairPay ist #agil
#Fazit
#Geld bewegt uns alle
Und das „eigene“ Geld oder die eigene
Vergütung scheint ein sehr berührendes, ein sehr persönliches, ein wichtiges
und vor allem ein solches Thema zu sein, bei dem jeder aufhorcht und in der
Regel eine Meinung hat. Und wenn es nur diese ist, dass er sich ungerecht
bezahlt fühlt oder meint, das andere ungerecht bezahlt sind, - oder eben
umgekehrt. Wobei letzteres, gerecht bezahlt zu sein, aus meiner Wahrnehmung
heraus eher die Ausnahme ist.
#Fair ist immer eine Frage der Perspektive
In meiner Vorlesung ist diese Frage für mich
der Einstieg zum Thema „Gerechtigkeit“. Denn wenn es um die Verteilung von Chancen
und Gütern geht – und Lohn ist ja das Entgelt für geleistete Arbeit – dann
kommt immer auch die Frage nach der Gerechtigkeit ins Spiel. Und Gerechtigkeit
ist seit Platon und Aristoteles, eine anerkannte moralische Leitidee für
Gesellschaft und den Einzelnen. Es scheint egal, in welchen Beziehungen wir als
Menschen stehen, ob als Verbraucher oder Kunde, ob als Angestellter oder
Selbständiger, ob als Unternehmer oder als ehrenamtliche Engagierter – immer
werden wir von unserem Sinn von Gerechtigkeit beeinflusst und vielleicht sogar
gesteuert und getrieben. Dabei gibt es nicht „die“ Gerechtigkeit. Zur
Beurteilung sind verschiedene ethische Zuordnungen möglich.
#Ethisch fair
Genannt seien hier in diesem Kontext die
Unterscheidung nach Leistung, Status, Bedürfnis und Gleichheit.
Die Leistungsgerechtigkeit
ist das Verständnis der Marktwirtschaft. Wie
der Name schon sagt, geht es um den Tausch von Leistung und Lohn. Der Austausch
steht im Vordergrund, nicht unbedingt, wieviel zu leisten ist oder ob die
Leistung alleine zu verantworten ist sondern dass eine erbrachte Leistung zu
entlohnen ist.
Die Statusgerechtigkeit
basiert auf vergleichbaren Unterschieden.
Waren es früher „Sklaven, Bauern, Bürger oder Adelige“, die über unterschiedliche
Rechte durch ihren unterschiedlichen Status verfügten, so sind es heute
vielleicht „Topmanager, geringfügig Beschäftigte“, oder auch Mitarbeiter in
Industrienationen vergleichen mit Mitarbeitern in armen Ländern, die aufgrund
ihrer Funktion und Rolle anders behandelt werden. Stichwort z.B., die "Größe des
Büros", des Dienstwagens, die Anzahl der Urlaubstage, Übernahme der
Altersversorgung, etc…
Die Bedürfnisgerechtigkeit
legt das Prinzip der Fürsorge zugrunde. Kurz
erklärt geht es darum, dass jeder Mensch das bekommen soll, was er zum Leben
benötigt. Diese Betrachtung findet sich teilweise in der sozialen
Marktwirtschaft und in einem Sozialstaat wieder.
Die Gleichheit als Gerechtigkeit
geht davon aus, dass jeder Mensch gleichwertig
ist und die gleichen Chancen und Rechte haben soll. Wo eine ungleiche
Verteilung vorliegt, soll ein Ausgleich vorgenommen werden. Ein Ansatz, der
sich im arbeitsrechtlichen „allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz“
wiederfindet, der im Prinzip besagt: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
Grafik/Bild: B. Redmann |
Je nach dem welches Gerechtigkeitsverständnis
man nun bei der Bezahlung zugrunde legt, kommt es zu unterschiedlichen
Ergebnissen:
Blickt man durch die Brille der Leistungsgerechtigkeit
und wendet diese streng an, führt dies dazu, dass die Leistung und die
Wertigkeit der Leistung im Vordergrund stehen. Derjenige, der etwas tut, soll
auch etwas bekommen. Dabei müssen sich Lohnhöhe und Leistung möglichst
entsprechen.
Bei der Statusgerechtigkeit ist entscheidend,
was jemand ist: je nach Titel, Position, Funktion oder vertraglicher Gestaltung
bestimmt sich sein Gehalt. Entscheidend ist also eher was ich „bin“ als das,
was ich leiste.
Bei der Bedürfnisgerechtigkeit hängt die
Entlohnung daran, was der Einzelne für sich oder sein Leben braucht, bzw. was
er für sich hier als „brauchen“ definiert. Im Prinzip liegt hier auch das
bedingungslose Grundeinkommen nahe.
Und bei der Gerechtigkeit der Gleichheit wäre
es ganz strenggenommen so, dass jeder das gleiche verdient, egal wo er für wen
arbeitet. Jeder HR-Sachbearbeiter – mal als Beispiel genommen – bekäme egal in
welcher Firma das gleiche Gehalt.
Ethisch betrachtet, ist also allen zurzeit
diskutierten Aspekten rund um das Thema „faires Gehalt“ etwas abzugewinnen. Jeder
Ansatz ließe sich als gerecht „verkaufen“ – es kommt halt nur auf den
jeweiligen „Gerechtigkeitsbegriff“ an.
#FairPay ist individuell
Wenn also jeweils meine eigene Sicht der Dinge
für mein eigenes Verständnis von „fair“ relevant ist, dann bedeutet dies im Umkehrschluss,
dass es kein „faires Gehalt für alle“ geben kann. Fair ist immer individuell
und nicht allgemeingültig. Es gibt nicht die eine Lösung. Weder für den Einzelnen noch für Unternehmen. So
unterschiedlich wie wir Menschen sind, so unterschiedlich sind unsere Ansichten
über Gerechtigkeit und Fairness in der Bezahlung. Und manchmal wechseln sich diese
auch noch ab: je nachdem, in welcher Lebensphase oder Situation ich mich gerade
befinde, habe ich vielleicht auch eine andere Vorstellung von fairer Bezahlung.
Muss ich mich z.B. nur um mich selbst kümmern, bin ich gesund und habe weder
Kinder noch pflegebedürftige Angehörige, ist mein Verständnis für Gerechtigkeit
möglicherweise ein anderes als wenn ich bestimmte finanzielle Einnahmequellen
benötige oder nur zeitlich beschränkt arbeiten kann. Genauso kann sich mein
eigenes inneres "Persönlichkeits-Strickmuster" auf meine Einstellung zur fairen
Bezahlung auswirken: Sehe ich Gehalt als Anerkennung meines Wirkens an, macht
es mir Spaß Bonuszahlungen zu erhalten, wenn ich meine Ziele erreicht habe oder
möchte ich lieber ein festes Gehalt haben, das nach klaren Kriterien eingestuft
ist und von dem ich z.B. weiß, dass sich Gehaltserhöhungen ganz automatisch mit
meiner Betriebszugehörigkeit ergeben.
Es
gibt nicht die „eine“ Lösung – Fair ist immer individuell
Der individuelle Blick auf das Gehalt gilt
dabei nicht nur für den Einzelnen. Auch Unternehmen entscheiden sich genauso,
ob sie „faire Gehälter“ zahlen. So gibt es wahrscheinlich kein Unternehmen, das
von sich sagen würde, „bei uns wird ungerecht bezahlt.“ Viele Unternehmen sind
zudem tarifvertraglich gebunden. In einem Tarifvertrag finden sich
Tarifgruppen, die die Gleichheitsgerechtigkeit („alle in der gleichen
Entgeltgruppe werden gleich bezahlt“) und auch Statusgerechtigkeit (Unterscheidungen
z.B. nach Meister, Verwaltungsmitarbeiter, Auszubildenden, Techniker, Arzt,
etc.) erfüllen. Tarifliche Löhne oder auch der Mindestlohn haben zum Anspruch,
dass sie Grundbedürfnisse sichern, also die Bedürfnisgerechtigkeit erfüllen.
Und Leistungszulagen bedienen die Leistungsgerechtigkeit. Tarifverträge
erfüllen also direkt mehrere Gerechtigkeitsperspektiven. Damit könnten sich
unter Umständen mehr Menschen in ihrem Gerechtigkeitsverständnis angesprochen
fühlen.
Aber ob mit oder ohne tarifvertragliche
Bindung, in den meisten Fällen werden Unternehmen davon ausgehen, dass sie ein
faires System haben. Andernfalls würden sie es ja ändern.
Oder ???
#NewWork fordert #NewPay
Bekanntlich tun wir uns ja oft schwer,
Gewohnheiten zu ändern oder langjährige Gestaltungsweisen und Strukturen zu
hinterfragen… aber mal angenommen, es gäbe einen gewissen Druck von außen, z.B.
weil Unternehmen nicht mehr so einfach die richtigen, tollen, guten Mitarbeiter
finden und vertraglich einkaufen können, so wie sie es bisher gewohnt waren. Z.B.
weil es weniger von dieser besonderen Spezies gibt oder gerade auf bestimmte Berufsgruppen
eine große Nachfrage besteht und weil genau diese Mitarbeiter eigene,
individuelle Vorstellungen von einer für sie passenden und richtigen Vergütung
haben, die ihren Werten entspricht. Oder aber, weil in Unternehmen anders
zusammengearbeitet und geschafft wird und sich z.B. durch eine agile
Unternehmensführung auch die Tätigkeiten von Mitarbeitern schneller ändern und damit
andere Wertigkeiten als bisher haben. Hier haben sich Unternehmen dann auch die
Frage zu stellen, nach welchen – rechtlichen - Maßstäben die Vergütung bemessen
werden kann.
In diesen Fällen, in denen sich also unsere
bisher eher starren Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen aufweichen und
individuelle Wünsche und Gestaltungen bedient werden, bedarf es auch weiterer
vielfältigerer Lösungen für das Thema Gehalt. #NewWork fordert dies
konsequenterweise ein. Wir können nicht über Augenhöhe, Auflösung von
Arbeitsorten, Arbeitszeiten, Arbeitsaufgaben sprechen und dabei die Vergütung so
lassen wie sie ist. Auch Vergütung muss im Sinne von #NewWork „agil“ werden und
den bisher schon verfügbaren rechtlichen Handlungsspielraum ausschöpfen.
Vergütung
muss agil werden
Was bedeutet das konkret? Es muss so
individuell wie möglich werden. An dem gegenseitigen Nutzen von Mitarbeitern
und Unternehmen ausgerichtet und damit ganz eng verbunden, mit den
gegenseitigen Werten bzw. dem jeweiligen Gerechtigkeitsverständnis. Je höher
hier die Passung, desto fairer wird Gehalt empfunden werden.
Wie das geht? Nicht pauschal – sondern in Form
von individuellen Lösungen. Natürlich kann es sein, dass hier schon auf
bestimmte Systeme zurückgegriffen werden kann – siehe oben die Passage zu den
Tarifverträgen – doch wer mehr und anderes will und wenn Unternehmen auch ein
eigenes Entgeltsystem für erforderlich halten, braucht es kreative, neue, auf
die einzelne Situation geeignete Vereinbarungen. Das könnte z.B. so aussehen,
dass es gar nicht mehr nur um monatliches Gehalt geht sondern auch um Zeit als
neues Zahlungsmittel. So z.B. in dem Sinne, dass die Vereinbarung von bezahltem
Urlaub aus unterschiedlichsten Gründen (z.B. wenn das Kind krank ist) möglich
ist. Im Prinzip ist hier alles denkbar. Und das genau ist die Herausforderung: alles zu
denken.
Die
Herausforderung ist: alles zu denken
#FairPay ist #agil
Das Thema „faires Gehalt“ weckt sofort die
Gemüter auf und jeder hat eine Meinung zur eigenen Situation. Sowohl der
Einzelne als auch Unternehmen sind gleichermaßen gefordert, sich damit zu
beschäftigen und für sich zu entscheiden, welches „gerechte“ Lohnprinzip sie
denn bei sich zugrunde legen (wollen). Das erfordert die Auseinandersetzung mit
bestimmten Fragestellungen und im besten Falle eine Übereinstimmung von Motiven,
z.B. darüber, auf was genau soll es denn jeweils für den anderen beim Faktor
Entlohnung ankommt? Auf die Leistung, auf die Ausbildung, auf die
Innovationskraft, auf die Loyalität, auf den Wertschöpfungsbeitrag, auf die
Bedürfnisse? Wo und wie passen Werte und Überzeugungen hier übereinander?
Wenn wir #NewWork leben wollen dann brauchen
wir auch eine #agile Vergütung, die genau die jeweiligen Individuen
(Mitarbeiter und Unternehmen) in ihrem aktuellen Umfeld berücksichtigt.
Definition
Agilität:
Agilität
ist die Fähigkeit eines Unternehmens bzw. einer Organisation, Veränderungen in
der (Unternehmens-)Umwelt wahrzunehmen, sich schnell und flexibel auf diese
Veränderungen einzustellen, Chancen, Potenziale und auch Risiken zu erkennen
und eigene Handlungen immer wieder daran auszurichten. Dabei ist ein
wesentlicher Aspekt, ständig aus den eigenen Erfahrungen zu lernen und
zukunftsorientiert zu handeln.
Eine #agile Vergütung nimmt genau diese
situativen Bedürfnisse zwischen den Arbeitsvertragsparteien auf und stellt sich
somit schnell und flexibel auf Veränderungen ein. Dabei sollten eigene Chancen
und Risiken immer wieder überprüft werden und Handlungen und
Vergütungsvereinbarungen ggf. auch wieder – mit Blick auf die Zukunft - neu
ausgerichtet werden können. Aus den eigenen Erfahrungen sollte gelernt werden
können, so dass Vereinbarungen auch Raum für Änderungen zulassen sollten.
#Fazit:
Es wird daher konsequenterweise nicht die eine richtige #agile Vergütungsform
geben – sondern hier sind Unternehmen und Mitarbeiter gefordert, anhand ihres
für sie geltenden gerechten Maßstabes – der damit den Rahmen vorgibt – passende
Vereinbarungen zu erschaffen.
Das bedarf neuer kreativer Lösungen. Diese zu
finden, hier alles neu zu denken, das braucht Ideen, Mut und Vertrauen
zueinander. Denn:
#FairPay
bedeutet, neue Wege zu gehen.
https://www.coplusx.de/2017/09/28/blogparade-newpay-was-verdienen-wir-eigentlich/
Quellen/Hinweise:
1) Aßländer, Michael, Handbuch der
Wirtschaftsethik
2) Götzelmann, Arndt, Wirtschaftsethik kompakt
3) Studie Allensbach „Was ist gerecht?“ Gerechtigkeitsbegriff – und Wahrnehmung der Bürger, 2013
4) Redmann, Britta, Agiles Arbeiten im Unternehmen – rechtliche
Rahmenbedingungen und gesetzliche Anforderungen, Haufe, 2017