Dienstag, 3. Oktober 2017

#Agilität ist fair

Jedes Schiff ist wie ein eigenes Gehaltsmodell: alle sind anders (Foto: B. Redmann)


Wenn ich in meiner Wirtschaftsethikvorlesung die Frage an meine Studierenden richte, ob sie sich gerecht bezahlt fühlen, dann ergibt sich daraus immer eine rege Diskussion. Die Frage stelle ich besonders gerne in den langen Samstagsvorlesungen – denn sie garantiert mir Lebendigkeit und ein sofortiges „mitmachen“. Egal ob es sich um Studierende handelt, die müde von der Woche (oder vom Ausgehen) sind oder ob es eher stille Vertreter sind: beim Thema faires Gehalt diskutiert jeder mit. Das gleiche funktioniert übrigens auch auf Feiern, falls hier einmal der Gesprächsstoff ausgeht oder ein Austausch gar nicht erst so richtig in Gang kommt: Geld geht uns alle an. 


Inhalt:

#Geld bewegt uns alle
#Fair ist immer eine Frage der Perspektive
#Ethisch fair
#FairPay ist individuell
#NewWork fordert #NewPay
#FairPay ist #agil
#Fazit


#Geld bewegt uns alle
Und das „eigene“ Geld oder die eigene Vergütung scheint ein sehr berührendes, ein sehr persönliches, ein wichtiges und vor allem ein solches Thema zu sein, bei dem jeder aufhorcht und in der Regel eine Meinung hat. Und wenn es nur diese ist, dass er sich ungerecht bezahlt fühlt oder meint, das andere ungerecht bezahlt sind, - oder eben umgekehrt. Wobei letzteres, gerecht bezahlt zu sein, aus meiner Wahrnehmung heraus eher die Ausnahme ist. 

#Fair ist immer eine Frage der Perspektive
In meiner Vorlesung ist diese Frage für mich der Einstieg zum Thema „Gerechtigkeit“. Denn wenn es um die Verteilung von Chancen und Gütern geht – und Lohn ist ja das Entgelt für geleistete Arbeit – dann kommt immer auch die Frage nach der Gerechtigkeit ins Spiel. Und Gerechtigkeit ist seit Platon und Aristoteles, eine anerkannte moralische Leitidee für Gesellschaft und den Einzelnen. Es scheint egal, in welchen Beziehungen wir als Menschen stehen, ob als Verbraucher oder Kunde, ob als Angestellter oder Selbständiger, ob als Unternehmer oder als ehrenamtliche Engagierter – immer werden wir von unserem Sinn von Gerechtigkeit beeinflusst und vielleicht sogar gesteuert und getrieben. Dabei gibt es nicht „die“ Gerechtigkeit. Zur Beurteilung sind verschiedene ethische Zuordnungen möglich. 

#Ethisch fair
Genannt seien hier in diesem Kontext die Unterscheidung nach Leistung, Status, Bedürfnis und Gleichheit. 

Die Leistungsgerechtigkeit
ist das Verständnis der Marktwirtschaft. Wie der Name schon sagt, geht es um den Tausch von Leistung und Lohn. Der Austausch steht im Vordergrund, nicht unbedingt, wieviel zu leisten ist oder ob die Leistung alleine zu verantworten ist sondern dass eine erbrachte Leistung zu entlohnen ist. 

Die Statusgerechtigkeit
basiert auf vergleichbaren Unterschieden. Waren es früher „Sklaven, Bauern, Bürger oder Adelige“, die über unterschiedliche Rechte durch ihren unterschiedlichen Status verfügten, so sind es heute vielleicht „Topmanager, geringfügig Beschäftigte“, oder auch Mitarbeiter in Industrienationen vergleichen mit Mitarbeitern in armen Ländern, die aufgrund ihrer Funktion und Rolle anders behandelt werden. Stichwort z.B., die "Größe des Büros", des Dienstwagens, die Anzahl der Urlaubstage, Übernahme der Altersversorgung, etc… 

Die Bedürfnisgerechtigkeit
legt das Prinzip der Fürsorge zugrunde. Kurz erklärt geht es darum, dass jeder Mensch das bekommen soll, was er zum Leben benötigt. Diese Betrachtung findet sich teilweise in der sozialen Marktwirtschaft und in einem Sozialstaat wieder.  

Die Gleichheit als Gerechtigkeit
geht davon aus, dass jeder Mensch gleichwertig ist und die gleichen Chancen und Rechte haben soll. Wo eine ungleiche Verteilung vorliegt, soll ein Ausgleich vorgenommen werden. Ein Ansatz, der sich im arbeitsrechtlichen „allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz“ wiederfindet, der im Prinzip besagt: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. 

Grafik/Bild: B. Redmann
Je nach dem welches Gerechtigkeitsverständnis man nun bei der Bezahlung zugrunde legt, kommt es zu unterschiedlichen Ergebnissen:
Blickt man durch die Brille der Leistungsgerechtigkeit und wendet diese streng an, führt dies dazu, dass die Leistung und die Wertigkeit der Leistung im Vordergrund stehen. Derjenige, der etwas tut, soll auch etwas bekommen. Dabei müssen sich Lohnhöhe und Leistung möglichst entsprechen.
Bei der Statusgerechtigkeit ist entscheidend, was jemand ist: je nach Titel, Position, Funktion oder vertraglicher Gestaltung bestimmt sich sein Gehalt. Entscheidend ist also eher was ich „bin“ als das, was ich leiste.
Bei der Bedürfnisgerechtigkeit hängt die Entlohnung daran, was der Einzelne für sich oder sein Leben braucht, bzw. was er für sich hier als „brauchen“ definiert. Im Prinzip liegt hier auch das bedingungslose Grundeinkommen nahe.
Und bei der Gerechtigkeit der Gleichheit wäre es ganz strenggenommen so, dass jeder das gleiche verdient, egal wo er für wen arbeitet. Jeder HR-Sachbearbeiter – mal als Beispiel genommen – bekäme egal in welcher Firma das gleiche Gehalt. 

Ethisch betrachtet, ist also allen zurzeit diskutierten Aspekten rund um das Thema „faires Gehalt“ etwas abzugewinnen. Jeder Ansatz ließe sich als gerecht „verkaufen“ – es kommt halt nur auf den jeweiligen „Gerechtigkeitsbegriff“ an. 

#FairPay ist individuell
Wenn also jeweils meine eigene Sicht der Dinge für mein eigenes Verständnis von „fair“ relevant ist, dann bedeutet dies im Umkehrschluss, dass es kein „faires Gehalt für alle“ geben kann. Fair ist immer individuell und nicht allgemeingültig. Es gibt nicht die eine Lösung. Weder für den Einzelnen noch für Unternehmen. So unterschiedlich wie wir Menschen sind, so unterschiedlich sind unsere Ansichten über Gerechtigkeit und Fairness in der Bezahlung. Und manchmal wechseln sich diese auch noch ab: je nachdem, in welcher Lebensphase oder Situation ich mich gerade befinde, habe ich vielleicht auch eine andere Vorstellung von fairer Bezahlung. Muss ich mich z.B. nur um mich selbst kümmern, bin ich gesund und habe weder Kinder noch pflegebedürftige Angehörige, ist mein Verständnis für Gerechtigkeit möglicherweise ein anderes als wenn ich bestimmte finanzielle Einnahmequellen benötige oder nur zeitlich beschränkt arbeiten kann. Genauso kann sich mein eigenes inneres "Persönlichkeits-Strickmuster" auf meine Einstellung zur fairen Bezahlung auswirken: Sehe ich Gehalt als Anerkennung meines Wirkens an, macht es mir Spaß Bonuszahlungen zu erhalten, wenn ich meine Ziele erreicht habe oder möchte ich lieber ein festes Gehalt haben, das nach klaren Kriterien eingestuft ist und von dem ich z.B. weiß, dass sich Gehaltserhöhungen ganz automatisch mit meiner Betriebszugehörigkeit ergeben. 

Es gibt nicht die „eine“ Lösung – Fair ist immer individuell


Der individuelle Blick auf das Gehalt gilt dabei nicht nur für den Einzelnen. Auch Unternehmen entscheiden sich genauso, ob sie „faire Gehälter“ zahlen. So gibt es wahrscheinlich kein Unternehmen, das von sich sagen würde, „bei uns wird ungerecht bezahlt.“ Viele Unternehmen sind zudem tarifvertraglich gebunden. In einem Tarifvertrag finden sich Tarifgruppen, die die Gleichheitsgerechtigkeit („alle in der gleichen Entgeltgruppe werden gleich bezahlt“) und auch Statusgerechtigkeit (Unterscheidungen z.B. nach Meister, Verwaltungsmitarbeiter, Auszubildenden, Techniker, Arzt, etc.) erfüllen. Tarifliche Löhne oder auch der Mindestlohn haben zum Anspruch, dass sie Grundbedürfnisse sichern, also die Bedürfnisgerechtigkeit erfüllen. Und Leistungszulagen bedienen die Leistungsgerechtigkeit. Tarifverträge erfüllen also direkt mehrere Gerechtigkeitsperspektiven. Damit könnten sich unter Umständen mehr Menschen in ihrem Gerechtigkeitsverständnis angesprochen fühlen. 

Aber ob mit oder ohne tarifvertragliche Bindung, in den meisten Fällen werden Unternehmen davon ausgehen, dass sie ein faires System haben. Andernfalls würden sie es ja ändern. 

Oder ???

#NewWork fordert #NewPay
Bekanntlich tun wir uns ja oft schwer, Gewohnheiten zu ändern oder langjährige Gestaltungsweisen und Strukturen zu hinterfragen… aber mal angenommen, es gäbe einen gewissen Druck von außen, z.B. weil Unternehmen nicht mehr so einfach die richtigen, tollen, guten Mitarbeiter finden und vertraglich einkaufen können, so wie sie es bisher gewohnt waren. Z.B. weil es weniger von dieser besonderen Spezies gibt oder gerade auf bestimmte Berufsgruppen eine große Nachfrage besteht und weil genau diese Mitarbeiter eigene, individuelle Vorstellungen von einer für sie passenden und richtigen Vergütung haben, die ihren Werten entspricht. Oder aber, weil in Unternehmen anders zusammengearbeitet und geschafft wird und sich z.B. durch eine agile Unternehmensführung auch die Tätigkeiten von Mitarbeitern schneller ändern und damit andere Wertigkeiten als bisher haben. Hier haben sich Unternehmen dann auch die Frage zu stellen, nach welchen – rechtlichen - Maßstäben die Vergütung bemessen werden kann. 

In diesen Fällen, in denen sich also unsere bisher eher starren Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen aufweichen und individuelle Wünsche und Gestaltungen bedient werden, bedarf es auch weiterer vielfältigerer Lösungen für das Thema Gehalt. #NewWork fordert dies konsequenterweise ein. Wir können nicht über Augenhöhe, Auflösung von Arbeitsorten, Arbeitszeiten, Arbeitsaufgaben sprechen und dabei die Vergütung so lassen wie sie ist. Auch Vergütung muss im Sinne von #NewWork „agil“ werden und den bisher schon verfügbaren rechtlichen Handlungsspielraum ausschöpfen. 

Vergütung muss agil werden


Was bedeutet das konkret? Es muss so individuell wie möglich werden. An dem gegenseitigen Nutzen von Mitarbeitern und Unternehmen ausgerichtet und damit ganz eng verbunden, mit den gegenseitigen Werten bzw. dem jeweiligen Gerechtigkeitsverständnis. Je höher hier die Passung, desto fairer wird Gehalt empfunden werden.
Wie das geht? Nicht pauschal – sondern in Form von individuellen Lösungen. Natürlich kann es sein, dass hier schon auf bestimmte Systeme zurückgegriffen werden kann – siehe oben die Passage zu den Tarifverträgen – doch wer mehr und anderes will und wenn Unternehmen auch ein eigenes Entgeltsystem für erforderlich halten, braucht es kreative, neue, auf die einzelne Situation geeignete Vereinbarungen. Das könnte z.B. so aussehen, dass es gar nicht mehr nur um monatliches Gehalt geht sondern auch um Zeit als neues Zahlungsmittel. So z.B. in dem Sinne, dass die Vereinbarung von bezahltem Urlaub aus unterschiedlichsten Gründen (z.B. wenn das Kind krank ist) möglich ist. Im Prinzip ist hier alles denkbar. Und das genau ist die Herausforderung: alles zu denken. 

Die Herausforderung ist: alles zu denken

#FairPay ist #agil
Das Thema „faires Gehalt“ weckt sofort die Gemüter auf und jeder hat eine Meinung zur eigenen Situation. Sowohl der Einzelne als auch Unternehmen sind gleichermaßen gefordert, sich damit zu beschäftigen und für sich zu entscheiden, welches „gerechte“ Lohnprinzip sie denn bei sich zugrunde legen (wollen). Das erfordert die Auseinandersetzung mit bestimmten Fragestellungen und im besten Falle eine Übereinstimmung von Motiven, z.B. darüber, auf was genau soll es denn jeweils für den anderen beim Faktor Entlohnung ankommt? Auf die Leistung, auf die Ausbildung, auf die Innovationskraft, auf die Loyalität, auf den Wertschöpfungsbeitrag, auf die Bedürfnisse? Wo und wie passen Werte und Überzeugungen hier übereinander?

Wenn wir #NewWork leben wollen dann brauchen wir auch eine #agile Vergütung, die genau die jeweiligen Individuen (Mitarbeiter und Unternehmen) in ihrem aktuellen Umfeld berücksichtigt. 

Definition Agilität:
Agilität ist die Fähigkeit eines Unternehmens bzw. einer Organisation, Veränderungen in der (Unternehmens-)Umwelt wahrzunehmen, sich schnell und flexibel auf diese Veränderungen einzustellen, Chancen, Potenziale und auch Risiken zu erkennen und eigene Handlungen immer wieder daran auszurichten. Dabei ist ein wesentlicher Aspekt, ständig aus den eigenen Erfahrungen zu lernen und zukunftsorientiert zu handeln. 


Eine #agile Vergütung nimmt genau diese situativen Bedürfnisse zwischen den Arbeitsvertragsparteien auf und stellt sich somit schnell und flexibel auf Veränderungen ein. Dabei sollten eigene Chancen und Risiken immer wieder überprüft werden und Handlungen und Vergütungsvereinbarungen ggf. auch wieder – mit Blick auf die Zukunft - neu ausgerichtet werden können. Aus den eigenen Erfahrungen sollte gelernt werden können, so dass Vereinbarungen auch Raum für Änderungen zulassen sollten.

#Fazit:

Es wird daher konsequenterweise nicht die eine richtige #agile Vergütungsform geben – sondern hier sind Unternehmen und Mitarbeiter gefordert, anhand ihres für sie geltenden gerechten Maßstabes – der damit den Rahmen vorgibt – passende Vereinbarungen zu erschaffen.
Das bedarf neuer kreativer Lösungen. Diese zu finden, hier alles neu zu denken, das braucht Ideen, Mut und Vertrauen zueinander. Denn:


#FairPay bedeutet, neue Wege zu gehen.

Danke an Coplusx Nadine Nobile, Steffi Hornung und Sven Franke die zu dieser Blogparade alle "Arbeitsweltbeweger" aufgerufen haben 😃 

https://www.coplusx.de/2017/09/28/blogparade-newpay-was-verdienen-wir-eigentlich/


Quellen/Hinweise:
1) Aßländer, Michael, Handbuch der Wirtschaftsethik
2) Götzelmann, Arndt, Wirtschaftsethik kompakt
3) Studie Allensbach „Was ist gerecht?“ Gerechtigkeitsbegriff – und Wahrnehmung der Bürger, 2013
4) Redmann, Britta, Agiles Arbeiten im Unternehmen – rechtliche Rahmenbedingungen und gesetzliche Anforderungen, Haufe, 2017


Mittwoch, 27. September 2017

Vernetztes Arbeiten: "Man muss auch gönnen können" - wer das nicht kann, der sollte lieber alleine weitermachen...

Foto:Britta Redmann

Letztens noch agil und dieses Jahr vernetzt? Ein Widerspruch oder eine Notwendigkeit? Viele reden vom "sich vernetzten", Unternehmen wandeln sich zur Netzwerkorganisation, kollaboratives (also vernetztes) Zusammenarbeiten ist trendy... doch was bedeutet es konkret, vernetzt in einem Unternehmen zu arbeiten und was braucht es dazu, damit es vor allem funktioniert?


Inhalt:
Was sind Netzwerke in Organisationen?
Warum wird vernetztes Arbeiten in Unternehmen immer wichtiger?
Netzwerke als agile Gefüge
Struktur ist nur ein Faktor für Erfolg
Was brauchen Menschen, damit Vernetzung gelingt?
Fazit


Was sind Netzwerke in Organisationen?
Wir alle nutzen sie täglich und ja, wir selbst sind als Mensch ein eigenes komplexes Netzwerk, Teile von uns, wie z.B. unser Gehirn, ist ein Netzwerk, doch wie beschreibt man etwas, was in so vielfältiger Art vorkommt? Was allem gemeinsam ist, ist ein ein System, das über eine Menge von Elementen – sogenannten „Knoten“ – verfügt und über diese Knoten miteinander verbunden ist. Die Verbindung mehrerer Knoten zu einer Gesamtheit ist dann das Netzwerk.

Im unternehmerischen Kontext sprechen wir von Netzwerkorganisationen als eine Form der Aufbauorganisation. Wie bei allen Organisationsformen ist sie eine Möglichkeit, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in einem betrieblichen Gefüge zu verteilen. Dabei kann sich eine Netzwerkorganisation dadurch auszeichnen, dass ihre Mitglieder weitestgehend autonom handeln und durch gemeinsame Ziele langfristig miteinander verbunden sind. Dadurch ermöglichen sich in Netzwerkorganisationen stabile, kooperative und komplexe Beziehungen zwischen den beteiligten Partnern.


Warum wird vernetztes Arbeiten in Unternehmen immer wichtiger?

Unsere Umwelt und damit auch unsere Arbeitswelt werden komplexer. Für Unternehmen heißt das, sie sind quasi gezwungen, sich schnell veränderten Bedingungen des Marktes und damit auch der Kunden anzupassen. Veränderungen müssen antizipiert, erkannt und aktiv angegangen werden. Empirische Studien haben gezeigt, dass das Überleben von Organisationen von bestimmten Prinzipien abhängt. Danach hatten große Organisationen einen Vorteil in Märkten, die sich nur teilweise oder sehr eindimensional ändern. Kleinere Organisationen hatten einen Vorteil in solchen Märkten, die sich vollständig und auch mehrdimensional ändern.


Die Schnellen überholen die Langsamen

Eine hohe Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit sorgt also für eine stabile Marktbehauptung. Ein Netzwerk ist stabil und gleichzeitig wendig. Das ist der Grund, warum sich Unternehmen verstärkt damit auseinandersetzen, ihre Strukturen und Organisationsformen hin zu einer vernetzten Organisation zu verändern.

Netzwerke sind stabil und wendig zugleich

Netzwerke als agile Gefüge

Was zeichnet Netzwerkorganisationen in ihrer Struktur aus? Im besten Fall verbinden sich Netzwerke im "außen" wie im "innen". Für Organisationen heißt das, sich zum einen mit der Umwelt, der Gesellschaft, dem Markt, den Kunden, den Mitbewerbern etc. zu koppeln und wahrzunehmen, was dort außerhalb des eigenen Unternehmens passiert. Im inneren, also in der eigenen betrieblichen Organisation, verhelfen Netzwerke zu einem direkten Austausch. Dadurch ist es möglich, frühzeitig zu erkennen, was meine Mitarbeiter bewegt und ihnen wichtig ist.
In einer Netzwerkorganisation gelingt es viel einfacher, Aufgaben schnell anzupassen, wenn dies von außen, z.B. durch den Kunden oder den Markt – gefordert wird. Es bestehen meist übergreifende Teams. Es gibt wenig bis keine Hierarchie, da eine Netzwerkorganisation gerade dadurch gewinnt, dass Mitarbeiter selbstbestimmt verantwortlich entscheiden. Tätigkeiten von Mitarbeitern sind nicht starr, sondern breit aufgestellt: Jeder soll „immer und überall“ seinen Einsatz und Beitrag leisten können, wo es für das Ergebnis förderlich ist. Informationen fließen an viele oder alle gleichzeitig. Somit erhalten Mitarbeiter zeitnah einheitliche Kenntnisse. Dadurch kann Wissen als auch Erfahrungen miteinander schnell geteilt und aufgebaut werden. Alles was kommuniziert wird, wird einfacher transparent.
Auf diese Weise können sich ganze Unternehmen oder einzelne organisatorische Einheiten schnell und sehr aufgabenfokussiert immer wieder neu an Veränderungen ausrichten. Netzwerkorganisationen sind daher meist agile Gefüge. 

Struktur ist nur ein Faktor für Erfolg
Doch Struktur und schlanke anpassungsfähige Abläufe sind nur ein Faktor für den Erfolg. So arbeiten in Organisationen Menschen zusammen. Menschen funktionieren nicht auf Knopfdruck oder allein durch Regel- oder Strukturwerke. Damit eine Organisationsform funktioniert – und dabei ist es ganz egal welche -  ist es notwendig, dass Mitarbeiter sich darin zurechtfinden. Und sogar mehr als das: Mitarbeiter stützen und bestärken mit ihrem Tun und Handeln überhaupt eine Aufbauorganisation.  Es braucht daher immer Menschen, die zu dieser Struktur passen und Vernetzung leben und lebendig halten. 

Was brauchen Menschen, damit Vernetzung gelingt?

Damit alle Mitarbeiter und Kollegen zusammenarbeiten – also auch Mitarbeiter mit ihren Chefs zusammenarbeiten und nicht lediglich „für sie“ arbeiten brauchte es vor allem drei Dinge:

Klare Ausrichtung. Klare Entscheidungsbefugnis. Klare Haltung.

1. Klare Ausrichtung
Fangen wir von vorne an, mit der klaren Ausrichtung. In Netzwerken geht es um das gemeinsame Ganze. Wenn Mitarbeiter autonom und selbstbestimmt in Netzwerken handeln (müssen!), dann bedarf es eines klaren Zieles, woran sich ihr Handeln orientiert. Andernfalls laufen Netzwerkorganisationen Gefahr, das jeder in eine andere Richtung läuft. Stabile, kooperative und komplexe Beziehungen für die gemeinsame Sache zu schaffen, funktioniert dann nicht. Eine Netzwerkorganisation braucht daher umso mehr eine Vision, eine Richtungsweisung, eine gemeinsame tragende Idee, bzw. eine Vorstellung, wohin es gehen soll. 

Foto: Britta Redmann
2. Klare Entscheidungsbefugnis
Möchten Unternehmen verantwortungsvolle Mitarbeiter haben, die eigenständig die möglichst beste Entscheidung für das Unternehmen und/oder auch für den Kunden treffen, so ist ein eigener Entscheidungsspielraum und Vertrauensrahmen unabdingbar. Hier heißt es loszulassen von bis ins kleinste hinein reglementierten Befugnissen, genauso wie von der Erwartung, „dass alles immer klappen muss“. Soll eine Netzwerkorganisation ihre volle Kraft entfalten, müssen Mitarbeiter Entscheidungsfreiräume haben. Diese Freiräume sollten vorher abgesteckt sein. Diese Freiräume beinhalten auch die Verantwortlichkeit für Fehler. Es gibt nicht immer die Garantie für die einzig „richtige“ Entscheidung. Insofern sind hier Erfahrungen zu zulassen, aus denen gelernt werden kann. Für beide Seiten, sowohl für den Mitarbeiter als auch für den Arbeitgeber, bedarf es einer Risikobereitschaft für Fehler. Wenn getroffene Entscheidungen nicht zum erhofften Erfolg geführt haben, muss der Mitarbeiter mit seiner „Fehl-Entscheidung“ umgehen und daraus lernen. Der Unternehmer muss weiterhin vollstes Vertrauen in seinen Mitarbeitern haben, dass dieser weitere eine bestmögliche Entscheidung trifft und jederzeit sein Bestes gibt.  Beide benötigen Vertrauen: in sich selbst und vor allem auch in den anderen. Um Entscheidungsspielräume zu geben ist ein Vertrauen in den Mitarbeiter, dass er jederzeit sein Bestes gibt unabdingbar.

3. Klare Haltung
Kommen wir zum dritten wichtigen Faktor, der "Netzwerk-Haltung". Hier geht es um eine selbst definierte Art und Weise, sich auf andere Menschen, Situationen und Begebenheiten einzulassen. 
Bei einer Netzwerkorganisation ist das „gemeinsame wollen“ die entscheidende Kraft, die das Netzwerk emotional trägt. Eine partnerschaftliche Beziehung – wie Netzwerke sie schaffen – heißt, nicht nur meinen eigenen Vorteil allein zu betrachten, sondern mich für die Sache einzusetzen, derentwillen es ein Netzwerk gibt. Oder anders ausgedrückt: Netzwerkorganisationen können nur dann funktionieren, wenn diejenigen die sich darin „aufhalten“, dies auch wirklich tun wollen. Sich also wirklich austauschen und miteinander in Beziehung bringen wollen. Eben im Sinne der Sache zusammen zu arbeiten und entsprechend daran das eigene Handeln immer wieder auszurichten. In der Kommunikation, in der Information und in der eigenen Einstellung. Vernetztes Arbeiten ist die Arbeit an einer großen gemeinsamen Win-Win-Lösung. 
Es bedarf daher einer Haltung, nicht nur alleine auf meinen Vorteil oder mich alleine zu schauen. Vielmehr ist genauso der Nutzen des anderen oder der Nutzen für die Gemeinschaft, in diesem Fall das Unternehmen und des Kunden, im Auge zu haben. Konsequenterweise heißt das, den Vorteil und Nutzen des anderen immer mit zu verfolgen und zu fördern. Vernetztes Arbeiten zeichnet sich darin aus, dass es Vorteile für alle schafft. 
Das bedeutet nicht, dass vernetztes Arbeiten völlig selbstlos ist oder der einzelne keinen Erfolg für sich haben darf. Es geht vielmehr darum, dass der Erfolg des einzelnen auch der Gemeinschaft dient. Im unternehmerischen Kontext also, dass der Erfolg des einzelnen auch einen Nutzen für das Unternehmen und/oder den Kunden bringt. 
Das bedarf der Fähigkeit, das große Ganze im Auge zu behalten und Chancen auf Vernetzung immer wieder zu suchen und zu erkennen. Ja, das erfordert ggf. ein ganz neues Denken, sofern das bisherige Umfeld oder auch die handelnden Personen sehr Wettbewerbs- und Konkurrenz geprägt sind. 

Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken grenzt ab – vernetztes Denken schafft den gemeinsamen Fokus. 

Besonders bei Führungskräften spielt daher ihr grundsätzliches Menschenverständnis eine entscheidende Rolle, ob sie vernetztes Arbeiten in einem Unternehmen fördern oder behindern. Hier kommt es daher um so mehr auf ihre Haltung und der Fähigkeit, "gönnen zu können" an. 

Fazit:

Wenn Unternehmen mit einer Netzwerkorganisation erfolgreich sein wollen, bedarf diese eine funktionierende vernetzte Arbeit untereinander zwischen allen Beteiligten.

„Alle“ sind auch wirklich alle, also Mitarbeiter und Führungskräfte gemeinsam. Bei vernetztem Arbeiten geht es dabei weniger um Hierarchie als mehr um das verantwortliche Tun des Einzelnen, ausgerichtet an der gemeinsamen Sache, dem Produkt oder der Dienstleistung des Unternehmens. Der Erfolg eines Einzelnen wird als nützlich für die Gruppe erkannt und ihm gegönnt. Denn Menschen in einem Netzwerk verstehen sich als Partner und arbeiten als solche zusammen. Ein „führen von oben herab“ und vor allem ein Konkurrenzdenken widerspricht einer vernetzten gemeinsamen Zusammenarbeit. Das eigene Menschenverständnis und bei Führungskräften daher insbesondere ihr Führungsverständnis trägt daher entscheidend für den Erfolg bei, ob vernetztes Zusammenarbeit in Unternehmen gelingt.



Quellen/Hinweise:

1) Redmann, Britta, Agiles Arbeiten im Unternehmen, Haufe 2017        
2) Vortrag Prof. Fischer "Agilität, was ist das, wozu brauchen wir sie und wie bilden wir sie aus? auf HR Agile Conference, 2017, Köln 
3) siehe auch: http://www.huffingtonpost.de/britta-redmann-/von-darth-vader-superheld_b_18356634.html





Sonntag, 20. August 2017

Mediation - Top Verfahren und keiner macht´s

Bild: Britta Redmann
Mit dem Erlass des Mediationsgesetzes vor genau 5 Jahren, im Juli 2012, verpflichtete der Gesetzgeber die Bundesregierung, bis zum 26. Juli 2017 eine Evaluation über die Auswirkungen des Mediationsgesetzes durchzuführen. Wenn man so will, einen "Bericht zur Lage der Mediation" zu erstellen, der die Entwicklung der Mediation in Deutschland sowie die Situation der Aus- und Fortbildung der Mediatoren betrachtet.

Inhalt:

Bericht zur Lage der Mediation
Starkes Verfahren zur Lösung von Konflikten
Würdigung von „ganz oben“
Alle fordern´s - keiner fördert´s
Fazit

Bericht zur Lage der Mediation
Dieser Regierungsbericht liegt nunmehr vor und enthält einige wichtige Ergebnisse:

  1. Die Zahl der durchgeführten Mediationen ist auf einem gleichbleibenden niedrigen Niveau. Die Mediationen konzentrieren sich dabei überwiegend auf einige wenige Mediatoren.
  2. Die Mediationstätigkeit bietet nur geringe Verdienstmöglichkeiten. Viele Mediatoren sind in der Ausbildung tätig.
  3. Während die Mediationskostenhilfe von den Mediatoren als bestes Instrument zur Förderung der Mediation gehalten wird, rät der Bericht jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt von einer allgemeinen, bereichsunabhängigen Regelung zur Mediationskostenhilfe ab.
  4. Die Vollstreckbarkeit von Mediationsvereinbarungen wird von den Mediatoren im geringsten Maße als weiterführendes Instrument zur Förderung der Mediation erachtet. Für eine Sonderregelung zur Vollsteckbarmachung von Mediations(ergebnis)vereinbarungen sieht auch der Bericht keinen Bedarf.
  5. Die Zertifizierung von Mediatoren, wie sie derzeit ausgestaltet ist, hat für die Nutzer wenig Relevanz. Inwieweit ein einheitliches öffentlich-rechtliches Zertifizierungssystem dies zu ändern vermag, ist empirisch nicht belegbar.

Die Regierung führt weiter aus:
Der vorliegende Bericht ist die erste flächendeckende empirische Untersuchung über die Nutzung von Mediation in Deutschland. Er zeigt, dass Mediation als alternatives Instrument der Konfliktbeilegung in Deutschland einen festen Platz in der Streitbeilegungslandschaft einnimmt, allerdings noch nicht in einem Maße genutzt wird, wie es wünschenswert wäre. Das Potential der Mediation ist noch nicht voll entfaltet. Ein unmittelbarer gesetzgeberischer Handlungsbedarf, insbesondere auf dem Gebiet der Aus- und Fortbildung von Mediatoren, ergibt sich aus dem Bericht nicht. Sowohl von einer allgemeinen Regelung der Mediationskostenhilfe als auch von Sonderregelungen zur Vollstreckbarkeit von Mediationsvereinbarungen rät der Bericht ab. Die Bundesregierung wird jedoch den Bericht zum Anlass nehmen, um im Austausch mit den betroffenen Kreisen auf der Grundlage der Erkenntnisse des Berichts zu überlegen, wie das mit dem Mediationsgesetz verfolgte Ziel der Förderung von Mediation langfristig noch besser verwirklicht werden kann..."

Kurzum: hier wird erst mal nichts weiter passieren. Schade! 
Denn: Mediation ist ein echt starkes Verfahren und eigentlich fast konkurrenzlos zu anderen Streitbeilegungsverfahren.

Starkes Verfahren zur Lösung von Konflikten

Die vielen Chancen und Vorteile die eine Mediation bietet werden offensichtlich anerkannt und auch gesehen. Noch einmal kurz zusammengefasst sind dies:


Grafik/Bild:B.Redmann


Damit schafft die Mediation etwas, was anderen Verfahren eben nicht gelingt: Nicht nur einen Konflikt im Sinne der Konfliktbeteiligten zu lösen sondern darüber hinaus auch noch die Beziehung zwischen ihnen zu stärken und sie bestenfalls sogar damit zu befähigen, zukünftig ihre Konflikte anders – nämlich bedürfnisgerecht - zu lösen.
Mit Mediation bekomme ich also neben der Lösung sogar noch eine persönliche Weiterentwicklung.


Würdigung von „ganz oben“

Vor diesem Hintergrund ist der Evaluationsbericht der Regierung eine traurige Erkenntnis: Da haben wir in unserem eher verwaltungsorientierten gesetzlichen Konfliktdschungel nun seit knapp 20 Jahren eine richtig gute Methode in Deutschland eingeführt, deren Vorzüge und besondere Eignung sowohl in der Literatur, von Mediationsanbietern sowie in vielen Studien belegt und gelobt wird - doch leider hat sich - wie es im Regierungsbericht so schön heißt, "das Potenzial der Mediation noch nicht voll entfaltet". Sogar das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem oft und gern zitierten Beschluss vom 23.11.2004 (!) ausgeführt: "eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung". Also ein "Bravo" von oberster Instanz.


Alle fordern´s - keiner fördert´s
Doch das einzige, was in Bezug auf den "Markt der Mediation" boomt sind die zunehmenden Ausbildungen von Mediatoren, die sich unabhängig von ihrer spezifischen Fachausrichtung (Juristen, Psychologen, Pädagogen...) alle gemeinsam in einen schwach entwickelten Markt drängen. Hier wird immer weiter ein Zertifizierungshype betrieben, der aber dem Nutzen und einer verstärkten Durchführung von Mediation in keiner Weise zugutekommt.


Fazit:
Die Schlussfolgerung im Evaluationsbericht zur Mediation, dass kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf gesehen wird, ist sehr bedauerlich. Und im Sinne der Mediation für ein Verfahren, das nur Vorteile bringt auch nicht interessengerecht gedacht.

Es gibt zwar Bildungsgutscheine - aber keine "Friedensgutscheine" oder "Mediationsgutscheine".
Jedes Unternehmen kann Bildungsgutscheine einsetzen, warum können Unternehmen keine Mediationsgutscheine einsetzen? Warum fördert unser Land berufliche Bildung mehr als berufliche Konfliktreduktion?

Ich vermisse hier die Kreativität für bedürfnisgerechte Lösungen, also z.B. darüber nachzudenken, wie Mediation als Verfahren auch bei denjenigen, die es anwenden gefördert werden kann. Z.B. durch staatliche Übernahme von Kosten oder durch Zuschüsse bei den Kosten für Mediatoren. Und dies für alle Anwendungsfelder der Mediation – also insbesondere auch im unternehmerischen Einsatz. Denn ist ein Konflikt erst mal soweit eskaliert, dass es tatsächlich zu einer rechtlich streitigen Auseinandersetzung kommt, wie z.B. Einigungsstelle, Scheidung, Abmahnung, etc. – und hier dann relativ einfach die Kosten über eine Rechtsschutzversicherung oder bei Arbeitgebern ggf. über eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband übernommen werden – ist die Beziehung untereinander schon sehr stark belastet. 

Vielleicht sollten wir mit der Regierung für eine Lösung dieses Dilemma mal eine Mediation machen?

Quellen/Hinweise:
1)http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/StudienUntersuchungenFachbuecher/Evaluationsbericht_Mediationsgesetz.pdf;jsessionid=A4BB470FF67F8C8A5AFFCD542E099BC0.1_cid297?__blob=publicationFile&v=1 
2) Mediator, 2/2017, S. 14 ff., „Das fiktive Bild der Mediation in Deutschland“
3) Mediator, 2/2017, S. 26 ff., „Institutionalisierung der Mediation – Potenziale und Risiken



Sonntag, 6. August 2017

Ehrenamt „goes-digital“

Bild: Brita Redmann

Ehrenamt und Digitalisierung – schließt sich das nicht eher aus? Digitalisierung, - das hat doch irgendwie auch mit Technik zu tun und geht es beim Ehrenamt nicht einfach nur um „Menschen“? Und tatsächlich: über 44 % der Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich. Nicht ganz – aber fast jeder zweite macht also irgendeine „freiwillige Tätigkeit“. Vom zeitlichen Umfang sieht es nach der aktuellen Untersuchung des Freiwilligensurvey (2014) dabei so aus, dass ca. 60 % der Engagierten bis zu 2 Stunden pro Woche freiwilligen Dienst leisten.[1]Die anderen 40 % leisten durchschnittlich zwischen 3 und 6 Stunden wöchentlich. Würde man nun dieses unentgeltliche Volumen nur einmal vergleichsweise mit dem gesetzlichen Mindestlohn (Stand 2017 bei 8,84 Euro) multiplizieren, kommt das freiwillige Engagement einer Arbeitsleistung im Wert von ca. 46 Mrd. Euro gleich. Überwältigend, oder? Und wenn wir dann noch einmal schauen, in welchen Bereichen überall Ehrenamtliche hoch motiviert und hinter der Sache stehend tätig werden, kann schon mancher Unternehmer „neidisch“ werden über so viel „freiwilliges“ Engagement. 

Inhalt:
  • Tätigkeitsbereiche von Engagierten
  • Ehrenamt in der Zukunft
  • Einfluss durch die Digitalisierung
  • Veränderung von Services, Tätigkeiten und Kommunikation
  • Beziehung heute und morgen
  • Führung ist Beziehung machen
  • Digitalisierung schafft neue Formen der Zusammenarbeit
  • Fazit


Tätigkeitsbereiche von Engagierten:

Ja, ehrenamtliches Engagement ist eine wichtige Säule unserer Gesellschaft. Nicht nur was Katastrophenschutz, Sport oder Kultur anbelangt – ganz viel unentgeltliches Wirken in den unterschiedlichsten Bereichen wäre nicht vorhanden wenn es Ehrenamt nicht gäbe.


Bild: B. Redmann
                                              
Ehrenamt in der Zukunft
Doch genauso wie auf unsere Gesellschaft gerade bestimmte Trends
 stark Einfluss nehmen, so befindet sich auch das Ehrenamt als Teil unserer Gesellschaft ebenfalls in Bewegung: Weder der demografische Wandel noch die Digitalisierung machen vor ehrenamtlichen Organisationen Halt - mit der Folge, dass sich bisherige feststehende – und manchmal vielleicht auch sehr starre - Strukturen in unserem gesellschaftlichen Miteinander gezwungener Maßen verändern. Tatsache ist: es sind faktisch einfach weniger Menschen vorhanden, die sich ehrenamtlich engagieren könnten und von den vorhandenen sind nicht genügend da, die sich unbedingt in starren Organisationen – so wie es große Vereine oftmals sind -  engagieren wollen. Bei den meisten stark institutionellen und regellastigen ehrenamtlichen Einrichtungen wie z.B. oft in großen Vereinen, bestehen daher erhebliche Nachwuchssorgen. Eigentlich ist es vergleichbar wie bei Unternehmen, in denen um die besten Mitarbeiter gebuhlt wird. Kann hier die Digitalisierung vielleicht eine riesige Chance für das Ehrenamt sein?

Einfluss Digitalisierung
Wir können davon ausgehen, dass sich unsere Zukunft zunehmend durch Technik bestimmt. Und wir können ebenfalls davon ausgehen, dass wir uns zukünftig immer schneller aufgrund dieses Fortschritts verändern werden und müssen. So wie im privaten Umfeld wandelt sich auch unsere berufliche Umwelt durch Digitalisierung und die technische Progression: Neue Geschäfts- und Servicemodelle entstehen, tradierte Modelle lösen sich auf und verschwinden vom Markt, daneben wachsen unterschiedlichste Branchen zusammen und vernetzen sich. Dienstleistungen, für die Betriebsmittel oder Angestellte vorgehalten werden müssten verändern sich dahingehend, dass über eine (Internet)-Plattform Produkte angeboten und diese mit einer Logistik versehen werden. Der Gedanke der Vernetzung steht immer im Vordergrund und bringt Produkt oder Service mit Logistik zusammen. Dies hat einen zunehmenden Einfluss auf Tätigkeiten, Zusammenarbeit und Kultur. Damit können menschliche, oft einfache Tätigkeiten ersetzt werden. Diese Herausforderungen aber auch alle Möglichkeiten betreffen gleichermaßen auch das Ehrenamt. Ja, aufgrund weniger Regulierungen als im Arbeitsverhältnis vielleicht noch wesentlich stärker. Also Fluch oder Segen? 


Veränderung von Services, Tätigkeiten und Kommunikation
Durch diese digitale Umgestaltung ändern sich auch die Ansprüche, die an Serviceleistungen und Erfolg gestellt werden. Empfänger von ehrenamtlichen Dienstleistungen erwarten eine hohe „Kundenorientierung“, Transparenz und eine entsprechende Anpassungsfähigkeit. Auch im digitalen Zeitalter wird von digitalen Aufgaben ein professionelles Gelingen erwartet und das bedeutet ein reaktionsschnelles kundenspezifisches Eingehen auf Wünsche der Leistungsempfänger oder Nutznießer des Engagements.

Was bedeutet das für ehrenamtliche Tätigkeiten? Letztendlich wird es in der Zukunft voraussichtlich zu anderen Aufgaben kommen: einfache menschliche Tätigkeiten können mittels Technik durch sogenannte „intelligent gesteuerte digitale“ Prozesse ersetzt werden. Und in naher Zukunft werden vielleicht auch ganze Services durch technische Assistenzsysteme ersetzt; so ist z.B. vorstellbar, dass Fahrdienste durch selbstfahrende Autos übernommen werden. Das Aufgabenspektrum im Ehrenamt wird sich durch die Digitalisierung verändern. Das heißt nicht, dass wir weniger Engagement benötigen, es wird nur in anderer Gestalt erforderlich sein. So werden kreative Aufgaben, steuernde und verantwortliche Funktionen ggf. einen höheren Bedarf bekommen. Hierunter fallen z.B. auch die Führungsaufgaben. Denn gerade als ehrenamtliche Führungskraft ist meine Hauptaufgabe, für ein funktionierendes Miteinander also für die „Beziehung untereinander“ und ein erfolgreiches Gelingen der Aufgabenerfüllung zu sorgen. Das bedarf der richtigen Vernetzung von Mensch und Technik.

Beziehung heute und morgen
Gleichermaßen verändert sich durch die digitale Technik auch unser Beziehungsverhalten: Wir können uns viel schneller miteinander vernetzen und kommunizieren ohne dabei an einem oder demselben Ort sein zu müssen. Wir können mittels Technik direkt mit verschiedenen Menschen ein und dieselbe Information teilen. Wir können miteinander kommunizieren und in Kontakt sein ohne uns dabei physisch sehen zu müssen. Dank z.B. Facebook, WhatsApp, Skype etc. ist dies alles ausführbar. All dies birgt sowohl Veränderungen als auch neue Möglichkeiten für ehrenamtliches Engagement. Und hier liegt meines Erachtens die größte Chance und gleichzeitig die größte Herausforderung für traditionelle ehrenamtliche Einrichtungen: Für diese wird es sein, sich diesen Veränderungen aktiv und zukunftsorientiert zu stellen. Was es hierzu braucht? Engagierte, die kreativ und mit Lust Ehrenamt zukunftsfähig aufstellen. Und Organisationen, die bereit sind, diese Mitgestaltung zuzulassen, starre Hierarchien aufweichen und Freiraum für Engagement bieten, sich so zu entfalten, wie es dem Einzelnen und der gemeinsamen Sache gut tut.

Ehrenamtliche Organisationen müssen ein Ort sein, in dem sich vielfältige Bedürfnisse von Engagierten erfüllen können. Oder anders ausgedrückt: Für jeden Geschmack sollte etwas dabei sein. Für ein zukunftsfähiges Ehrenamt ist dies noch wichtiger als bisher. 


Bild: B. Redmann

Und hierbei kann Digitalisierung sehr gut unterstützen. Denn auch die Anspruchshaltung derjenigen, die sich freiwillig engagieren wird von der Digitalisierung geprägt. Unsere Beziehungskanäle haben sich mit zunehmender Kommunikationstechnik erweitert: WhatsApp, Soziale Netzwerke (z. B. Facebook oder Twitter) sind aus unserer Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Und mittels Skype, Facetime oder ähnlichen Anbietern sind sogar virtuelle Gruppentreffen möglich, bei denen sich alle sehen können und die eine „live“ Atmosphäre erzeugen können. Mittels der Technik könnte somit der Austausch – vor allem der schnelle Austausch – untereinander unterstützt werden. Sogar zeitlich aufwendige Treffen könnten reduziert werden, da z. B. über Skype niemand einen extra Anfahrtsweg aufwenden müsste sondern praktisch von überall auf der Welt sich „dazu schalten“ könnte. Für Engagierte könnte sich dies erleichternd auswirken, z.B. berufliche oder zeitliche Ressourcenkonflikte zu verringern und somit das Einbringen für das Engagement ohne örtliche Einschränkung einfach ermöglichen. Und auch für Organisationen könnte dadurch eine einfacher zu lebende Verbindlichkeit entstehen, weil sich engagierte Mitglieder „mal eben kurz“ dazu schalten, ihren Kommentar abgeben können oder auch einfache Abstimmungen unkompliziert vorgenommen werden können. 

Führung ist Beziehung „machen“

Was bedeutet diese Veränderung für ehrenamtliche Führungskräfte? Zentrale Führungsaufgabe wird es sein, für die notwendige Vernetzung zu sorgen. Und das in zweierlei Hinsicht: zum einen die Vernetzung zwischen Technik und Freiwilligen zu ermöglichen und zum anderen, für vernetze Beziehungen zu sorgen. Die Möglichkeiten, Beziehungen einzugehen, zu gestalten, zu pflegen, miteinander in den Austausch zu treten werden noch größer und vielfältiger. Hier gilt es „am Ball zu bleiben“ und auf unterschiedlichen Kanälen präsent zu sein. Natürlich wird es immer so sein, dass es nach wie vor unterschiedliche Kommunikations- und Beziehungstypen geben wird: diejenigen, die sich lieber persönlich, von Angesicht zu Angesicht treffen und miteinander sprechen und andere, die digitale Medien bevorzugen und keine reale persönliche Nähe „brauchen“, denen vielleicht eher der schnelle und direkte Austausch und Einbezug wichtig ist .
Neben den unterschiedlichen Vorlieben wird es auch unterschiedliches Know How über die Anwendung von digitalen Medien geben. Eine ehrenamtliche Führungskraft wird sich daher zukünftig damit auseinandersetzen, „digitale Natives mit Analog Seniors“ zusammenzubringen. Und bevor sie das tut, muss sie sich vielleicht selbst zunächst hinterfragen, wie es mit den eigenen „digitalen“ Kompetenzen und der Einstellung dazu steht. Die Einstellung hierzu, wie technische Möglichkeiten am besten – im Sinne des Engagements und der Organisation - genutzt werden können ist ein entscheidender Faktor – und ob neue Medien in der Organisation greifen, wird hier wegweisend von der Einstellung der Führungskräfte abhängen.

Digitalisierung schafft neue Formen der Zusammenarbeit

Auch die Art der Zusammenarbeit und der Zusammenkünfte können sich durch die Digitalisierung erweitern. Andere Arbeitsstile und Formen, wie z.B. „agile“ Methoden, Barcamps, Ted Talks können Vernetzung, einen kreativen Austausch und gemeinsame Wissenserweiterung sehr unterstützen. Die Digitalisierung ermöglicht Führungskräften, durch die Verbindung von Technik und neuen Methoden Engagement ganz anders zu fördern und zu entwickeln. So bieten Plattformen wie Facebook oder Twitter oder auch die Nutzung von Lab´s neue Möglichkeiten, die Öffentlichkeit zu erreichen. Somit kann das Engagement der eigenen Organisation oder der eigenen Initiative transparent gemacht und hierfür geworben werden. Dadurch können ganz neue Kommunikationskanäle entstehen, potenzielle Interessierte, Engagierte, Förderer und „Follower“ zu finden und zu integrieren.

Fazit:

Damit Ehrenamt zukunftsfähig bleibt, braucht es wesentliche Kernkompetenzen von Engagierten. 

Wesentliche Kernkompetenzen von Freiwilligen zur Zukunftsgestaltung:
  • Innovation
  • Kreatives Denken
  • Lust auf Veränderung
  • Mut
  • Vernetzt handeln


Gleichzeitig müssen Organisationen den notwendigen Freiraum bieten, Mitgestaltung zu ermöglichen und zu unterstützen. Noch wichtiger als bisher wird es für ehrenamtliche Institutionen sein, den vielfältigen Motivationen und Bedürfnisse von Engagierten einen Raum zur Entfaltung zu geben. Hierbei bietet die Digitalisierung Herausforderungen und gleichzeitig große Chancen. Um die Chancen bestmöglich zu nutzen wird Zusammenarbeit, Vernetzung und damit das Miteinander zu gestalten wird eine wesentliche Aufgabe von Führung im Ehrenamt sein. Führung wird daher im Ehrenamt zukünftig an Bedeutung im digitalen Wandel zunehmen.

Quellen/Hinweise:
1) Freiwilligensurvey 2014
2) mein Blogpost "Fit für Führung"
3) Redmann, Agiles Arbeiten im Unternehmen, Haufe 2017
4) Uber, Uber ist ein Online-Vermittlungsdienst für Fahrdienstleistungen des gleichnamigen amerikanischen Unternehmens. Er vermittelt Fahrgäste an Mietwagen mit Fahrer (Eigenbezeichnung UberX und UberBlack) sowie auch private Fahrer (UberPop) mit eigenem Auto. Ferner werden auch reguläre Taxis vermittelt (UberTaxi). Die Vermittlung erfolgt über eine Smartphone-App oder eine Websitehttps://de.wikipedia.org/wiki/Uber_(Unternehmen)
5) Redmann, Erfolgreich führen im Ehrenamt, 2. Auflage, Springer, 2014 (3. Auflage in Erscheinung)
6) Siehe z.B. Organisationen wie betterplace.org, https://www.betterplace.org/de


Mein Blog ist umgezogen...

Mein Blog ist umgezogen - er findet sich jetzt hier direkt auf meiner Webseite:  https://www.britta-redmann.de/blog/